Für Smart-Living-Konzepte reicht die Automation, die das Leben zu Hause einfacher und sicherer macht, nicht mehr aus. In der Krisenzeit ist die Steuerung der Energieflüsse und damit der Rundumblick in den Fokus gerückt.
Lange dominierten bei smarter Technik besonders intelligente Entertainmentsysteme, fernsteuerbare Türschlösser, Storen- und die Heizungssteuerung möglichst auch via Sprachassistenten. Mit den Risiken, die in der Energiekrise seit gut einem Jahr überall sichtbar geworden sind, haben neue Ansprüche deutlich an Interesse gewonnen. Ablesen lässt sich das beispielsweise an Nachfrageschüben für Echtzeitstromsteuerungstool. Es sind nicht zuletzt die steigenden Energiepreise, die nach verbesserter Energieeffizienz und nach Wegen verlangen, um Strom- und Heizkosten zu senken. Interessanterweise herrscht bei Herstellern wie Installateuren Einigkeit: Die Sensibilität im Umgang mit Energie hat erheblich zugenommen. Das registriert man bei Wahli, dem Berner Anbieter des Twiline genannten Smarthome-Systems, genauso wie bei der ISP Electro Solutions in Ostermundigen, die im Kanton Bern neben Elektroinstallationen auch die Gebäudeautomation sowie Photovoltaiklösungen installieren.
Konkret wird Urs Wenger, Geschäftsführer des Spezialisten für Smarthome- und Gebäudesystemtechnik Wahli, wenn er erklärt: «Nachdem über Jahre primär der Komfort im Fokus stand, verlagert sich aktuell das Interesse in Richtung Energieoptimierung. Dabei geht es vor allem um Parametrierung oder Nachrüstung von einzelnen Elementen, um in irgendeiner Art den Verbrauch des Hauses zu reduzieren oder neu hinzugekommene alternative Energiequellen optimal zu integrieren.» Das ändere zwar nichts an den meist drei Beweggründen für die Realisierung eines Smarthomes, nämlich Erhöhung des Komforts, Verbesserung der Sicherheit und die Reduktion des Energieverbrauchs. Allerdings gelte es zu unterscheiden zwischen Besitzern einer Twiline-Smarthome-Anlage und neuen Projekten.
Denn laut Wenger steht heute «bei Neuanlagen oder grösseren Umbauten vermehrt von Beginn weg das Energiemanagement stärker im Fokus. Dabei sollen Verbraucher gezielt gesteuert und untereinander priorisiert werden können. Ein wichtiges Thema dabei ist der optimale Einsatz der selber produzierten Energie und die Reduktion des Netzbezugs», so der Wahli-Chef. Da man das Thema bereits früher aufgegriffen habe, seien die Auswirkungen der Energiekrise nicht sehr gross gewesen. «Ein wichtiger Teil der Anpassung ist die interne Ausbildung und die Bereitstellung von passenden Funktionsblöcken im System», schiebt er nach.
Ausbildung und technischer Systemausbau
Nach neuen Techniken gefragt, die im Zusammenhang mit der Energiekrise stehen, verweist Wenger einerseits auf Prozessoptimierungen, über die zum Beispiel die Einzelraumregulierung energetisch optimiert wird. Wenn mit selbst produzierter Energie wie etwa Solarenergie via Wärmepumpe geheizt wird, lässt sich ein Raum um 2 °C überheizen, sodass beim Übergang zum Heizen mit Bezug der Energie vom Netz von diesem Energieüberschuss profitiert werden kann, illustriert Wenger die Möglichkeiten. «Oder der Warmwasserspeicher wird mit eigener Energie höher aufgeheizt (inkl. Legionellenschaltung) und bei Netzbetrieb wird die Temperatur knapp eingestellt», nennt er ein weiteres Beispiel. Andererseits seien Techniken zur Priorisierung wichtiger geworden: «Hier wird definiert, ob ein Verbraucher auch bei Netzbezug eingeschaltet werden darf oder nur bei Eigenproduktion, und zusätzlich können die verschiedenen Verbraucher untereinander priorisiert werden.» Für Wahli habe die Realisierung dieser beiden Bereiche zur Folge gehabt, dass man das hauseigene System punktuell erweitern musste und gleichzeitig die Kompetenz seiner Kundenbetreuer in diese Richtung ausbauen musste, erklärt Wenger.
Wobei neben der internen Aus- und Weiterbildung ein System selbstverständlich laufend in mehreren Bereichen erweitert und optimiert werde. Laut Wenger geht es um Funktionserweiterungen genauso wie um die Integration neuer Technologien, moderne Bedienoberflächen oder auch Optimierungen für den Integrator. Bei Punkten, «welche die Energie betreffen, werden in der Priorisierung aber sicher heute im Vergleich zu früher höher gehandelt». Nur dürfe man dabei nicht übersehen, dass die Systeme immer komplizierter und aufwendiger werden. «Als Systemhersteller ist es eine grosse Herausforderung, dem Systemintegrator die spezifische Parametrierung der Einzelanlage einfach und verständlich zu machen und gleichzeitig dem nicht fachkundigen Benutzer der Anlage die ganze Komplexität des Themas so zu verpacken, dass er damit umgehen kann.» Und, fügt Wenger an, «je besser die Prozessoptimierung und die Priorisierung gelöst sind, desto weniger Support ist nötig».
Sensibilität bezüglich Energie wächst
Auch Philippe Burkhalter, der stellvertretende Leiter Technik der ISP Electro Solutions in Ostermundigen, macht zunächst erst einmal darauf aufmerksam, dass inzwischen «beinahe alle Personen, die an der Planung eines Eigenheims beteiligt sind, egal ob Stockwerkeigentum oder Einfamilienhaus, sich im Verlauf des Baus einmal der Frage nach Smarthome-Lösungen stellen». Aktuell sei das vor allem noch die Eigentümerschaft, doch insgesamt seien auch Frau und Herr Schweizer angesichts all der Krisenszenarien während der Energiekrise im Umgang mit Energie viel sensibler geworden. «Daher ist bei jedem Neubau oder Umbau das Thema Photovoltaikanlage ganz oben auf der Liste zu finden. Damit einhergehend entsteht die Frage, wie die Energie anschliessend im Gebäude verteilt und gemanagt werden soll. Unsere Smarthome-Lösungen können die Energieflüsse überwachen und steuern und somit den Eigenverbrauch steigern», umreisst Burkhalter die jüngsten Änderungen. Weiter spricht er – wie Wenger – die Smarthome-Zentrale an, die die Energie dem Verbraucher zukommen lassen, wenn er sie benötigt: «In den meisten Fällen ist der Eigenverbrauch des Solarstroms heute noch interessanter, als ihn ins Netz zurückzuspeisen.» Dies zu priorisieren, könne mit einem Automationssystem umgesetzt werden, führt Burkhalter ebenfalls an.
Darum Gesamtlösungen
Als Handicap zur Kontrolle der Energieflüsse sieht der ISP-Experte all die Lösungen, die nur Teile des Gebäudes adressieren: «So gibt es viele Do-it-yourself-Lösungen für die Bedienung von Licht und Heizung. Diese erledigen auch meist das, wofür sie gedacht sind, können jedoch zum Beispiel nicht für das Energiemanagement genutzt werden.» Eine Gesamtlösung hingegen sei in der Lage, alle Teile des Gebäudes miteinander zu verbinden und damit optimal zu steuern, sagt Burkhalter. Es gehe darum, dass über nur eine App alles im Zuhause gesteuert werden kann. Konkret beginne das «mit der PV-Anlage (Photovoltaik-anlage), geht weiter zur Ladestation fürs Elektroauto, welches beispielsweise nur mit dem Überschuss der PV-Anlage geladen wird und wenn nötig auch Energie aus dem Speicher im Keller verwendet. Weiter werden Licht, Beschattung und Heizung ins System eingebunden. Mithilfe der Wetterdaten und der Wetterstation können Schäden an Jalousien und Sonnenstoren verhindert werden. Ebenfalls liefern wir dazu ein Überwachungssystem gegen Einbrüche oder auch ein Alarmsystem, welches Hilfe ruft, sollte eine Bewohnerin gestürzt sein und selbst keine Hilfe mehr rufen kann.»
Trotz Skepsis Novitäten wagen
Bei alledem verschweigt Burkhalter nicht, dass gewisse Leute sich scheuen, noch mehr Technologie in ihr Leben zu lassen und bewusst wieder Einfachheit suchen. Andere hingegen sehen den Nutzen und den Komfort eines Smarthomes und bemühen sich um eine entsprechende Lösung. Sie haben das Bild eines Smarthomes hinter sich gelassen, bei dem man unentwegt «mit dem Tablet in der Wohnung umhergeht und sich vom System sagen lässt, was man zu tun hat», so ISP-Spezialist weiter.
Heute stehe zuoberst auf der Liste die Eigenverbrauchsoptimierung der selbst produzierten Energie. «Das Gebäude entscheidet selbst, wann es am besten ist, die produzierte Energie ins Netz zurückzuspeisen oder ob es zuerst die Waschmaschine startet oder das Elektroauto lädt.» Zudem werde in Bezug aufs Elektroauto vermehrt nach dem bidirektionalen Laden des Autos gefragt, die heute zwar bereits umsetzbar sei, aber noch viele Schwierigkeiten und Unklarheiten birgt. Doch Burkhalter ist diesbezüglich optimistisch: «Es ist eine Frage der Zeit, bis dies im Einfamilienhausszenario auch zum Standard wird», dann wird das E-Mobil nicht nur wie gewohnt Strom aus dem Netz beziehen, sondern die Energie der Fahrzeug-Akkus wird zurück ins Stromnetz beziehungsweise ins Haus gespeist. Abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen diese Form der Energienutzung – und Speicherung, wie sie Smarthome-Systemhersteller und deren Installateure kommen sehen, tatsächlich für die Energiewende haben.