In Basel sorgt die Abwärme eines Mini-Rechenzentrums für Raumwärme und Warmwasser in einem Mehrfamilienhaus. Die neuartige «Serverheizung» funktioniert als Schnittmenge der Interessen von IT-Kunden und Hauseigentümern.
Im Kanton Basel-Stadt gilt seit Oktober 2017 eines der strengsten kantonalen Energiegesetze. Öl- und Gasheizungen auf kantonalem Boden sollen wann immer möglich durch Heizungen mit erneuerbarem Energieträger ersetzt werden. Diese Vorgabe bereitet vielen Hauseigentümern Kopfzerbrechen. Denn Wärmepumpen- oder Pelletsheizungen sind im urbanen Gebiet oft schwierig umzusetzen, und längst nicht alle Basler Quartiere können auf Anschluss an das Fernwärmenetz zählen. Dies gilt auch im Neubad-Quartier, das westlich vom Basler «Zolli» liegt. Hier steht ein 1932 erbautes Mehrfamilienhaus, das bis zur Heizperiode 2019/20 mit Gas beheizt wurde. Der alte Kessel steht immer noch im Keller, dient aber nur noch als Backup und zur Abdeckung von Spitzenlasten. Der neue Wärmeerzeuger ist in einer unscheinbaren Chromstahlbox untergebracht. Auf dem Typenschild steht «chaudière numérique» – digitale Heizung. Tatsächlich wird die Wärme hier nicht aus Öl, Gas oder Holz erzeugt, auch nicht der Umgebungsluft oder dem Erdreich entzogen. Vielmehr nutzt die neue Heizung die Abwärme mehrerer Computer. Im Gehäuse stecken allerdings keine normalen PCs, sondern leistungsfähige Server, die deutlich mehr Rechenoperationen ausführen und deshalb auch viel heisser werden als normale Rechner.
Gefragte Wolke
«Solche Serverheizungen gibt es schon einige Jahre», sagt Stephan Février, verantwortlicher Projektleiter bei der Basler Energieversorgerin IWB. Auf die Idee, einen Pilotversuch zu starten, brachte ihn ein Kollege: «Er ist in der IT-Branche tätig und hat zahlreiche Server im Keller seines Hauses stehen. Diese produzieren sehr viel Abwärme, und deshalb fragte er mich halb im Scherz, ob man damit nicht heizen könnte.»
Tatsächlich ist die Abwärmenutzung von Servern schon lange ein Thema. Auch in der Schweiz werden verschiedene grössere Siedlungen mittels Abwärme aus Rechenzentren beheizt. Bisher gab es solche Lösungen jedoch nur auf Stufe XL. Der grosse Vorteil des Basler Projekts ist sein kleiner Massstab. Denn dezentrale Rechenzentren und dezentraler Wärmebedarf passen gut zusammen. Das hängt auch mit der weit verbreiteten Cloud-Technologie zusammen.
Etwa seit den frühen 2000er-Jahren ist die Cloud (eigentlich «Cloud Computing») ein Begriff. Damit bezeichnet man IT-Kapazitäten, insbesondere Speicher- und Rechenleistungen, die nicht an einen bestimmten Ort wie etwa ein physisches Rechenzentrum gebunden sind. Vielmehr werden diese Aufgaben auf verschiedene Orte oder Rechenzentren verteilt und den Benutzern über eine Netzwerkverbindung angeboten. Der grosse Vorteil dieser Technologie ist ihre Skalierbarkeit. Selbst der grösste Bedarf an Rechenleistung oder Speicherplatz kann mit der Cloud gedeckt werden. Ein gravierender Nachteil ist jedoch der Datenschutz. Digitale Daten unterliegen jeweils den Gesetzen des Landes, in welchem sie verarbeitet werden. Durch die geographische Vielfalt der Cloud können jedoch Daten, die vermeintlich in der Schweiz gehostet werden, unversehens im EU-Raum oder gar in den USA landen.
Sicher und grün
Der französische Anbieter Neutral-IT, mit dem IWB für das Pilotprojekt zusammenarbeitet, löst dieses Problem mit dezentralen Rechenzentren, die auf Schweizer Boden stehen. Eines davon ist die Serverheizung. Die Daten, die auf ihr gehostet oder verarbeitet werden, verlassen die Schweiz nicht, womit ein einheitlicher Datenschutz gewährleistet ist. Komplettiert wird das Paket durch die Stromversorgung mit 100 Prozent Ökostrom von IWB. «Für die IT-Kunden ist dies attraktiv, weil der CO2-Footprint gesenkt werden kann und die Schweizer Datenschutzgesetze eingehalten werden. Für unseren Kunden wiederum lohnt sich das Angebot, weil er sich nicht um die Auslastung kümmern muss», erläutert Stephan Février. «Auf den Servern wird immer genügend gerechnet, und damit steht auch ausreichend Wärme für Heizung und Warmwasser zur Verfügung.»
Im Inneren des Chromstahlgehäuses befinden sich bis zu einem Dutzend «Blades». So nennt man die Module, auf denen beispielsweise ein Server oder ein Switch (Netzwerkverteiler) sitzt. Die Blades sind von einem Ölbad umgeben. Dessen Wärme wird via Wärmetauscher zu einem Kombispeicher im Nebenraum geleitet. Dieser heizt das Heizungswasser auf und speist zusätzlich eine Frischwasserstation. Diese nutzt das heisse Wasser des Speichers, um kaltes Wasser im Durchlaufprinzip aufzuheizen. So kann man das Warmwasser genau nach Bedarf und höchst effizient aufbereiten, statt es stundenlang in einem grossen Speicher vorzuhalten. Die Wärmeverteilung inklusive Heizkörper wurde belassen. Die Umbauarbeiten beschränkten sich vorerst auf die Technikräume im Keller. Die Mieter werden nur durch die Entfernung der alten Etagen-Elektroboiler tangiert.
Einfache Umsetzung
Der Umbau des Heizsystems war dank der grosszügigen Platzverhältnisse einfach. Denn noch vor der Gasheizung war im Gebäude einmal eine Ölheizung installiert. «Den alten Tank hatte man nie angerührt. Wir haben ihn zurückgebaut und können damit den alten Tankraum für die Serverheizung nutzen», erläutert Stephan Février. Der neue Speicher und die Frischwasserstation fanden problemlos im Nebenraum Platz. Für die Mieterschaft werde der Komfort zunehmen, meint Février: «Sie werden mehr Platz im Badezimmer haben, weil die alten Boiler entfernt werden.»
Für den Hauseigentümer Stefan Eugster Stamm lohnt sich das Pilotprojekt ebenfalls: «Innert weniger Jahre müssen wir Eigentümer im Quartier eine Ersatzlösung für fossile Heizungen finden. Beim Einbau einer Pellets- oder Wärmepumpenheizung hätte ich jedoch Dämmung und Wärmeverteilung anpassen müssen. Mit der Serverheizung gewinne ich weitere fünf bis acht Jahre Zeit, um die Planung dafür anzugehen.» Die Mieter des Hauses, mehrheitlich jung, wurden über den gesamten Projektfortschritt informiert und schätzen gemäss Eugster Stamm die neue Heizung: «Sie finden es toll, bereits jetzt in einem Haus mit CO2-neutraler Heizung zu wohnen.» Auch wirtschaftlich lohnt sich das Projekt: Trotz der innovativen Technik sind die Kosten für den Hauseigentümer ungefähr gleich hoch wie beim Weiterbetrieb der normalen Gasheizung.
Neue Alternative?
Das Potential von IT-Abwärmenutzungen im Kleinformat sieht man auch bei Suissetec. Robert Diana, Leiter Fachbereich Heizungen, gibt jedoch einige Punkte zu bedenken: «Bei Wohngebäuden rechnet man mit einer Lebensdauer von mindestens 50 Jahren. Ein klassischer Wärmeerzeuger sollte es deshalb auf mindestens 15 Jahre bringen. Falls die Technik für eine Insellösung wie Mini-Serverheizungen in 5 oder 10 Jahren nicht mehr verfügbar sein sollte, kann ein Versorger wie IWB sicher eine Alternative finden. Jedoch könnten private Eigentümer in Schwierigkeiten geraten, falls die Lebensdauer der Komponenten zu kurz ist.»
Welche Rolle die Serverheizungen in einigen Jahren spielen werden, kann noch niemand sagen. Stephan Février von IWB ist jedoch von den Möglichkeiten der Technik überzeugt: «Serverheizungen sind eine tolle Alternative zu Pelletsheizungen oder Wärmepumpen. Gerade in Quartieren, die nicht am Fernwärmenetz hängen, ist das interessant.» Obwohl der Pilotversuch im urbanen Gebiet läuft, soll die Technik nicht nur in Basel angeboten werden. «Wir erhalten schon heute viele Anfragen aus der ganzen Schweiz», berichtet Février, «deshalb möchten wir das Produkt landesweit anbieten.» Vorgesehen sind einerseits ein Contracting, also die «Flatrate-Heizung» inklusive Betrieb und Wartung, aber auch Anlagen, die vom Gebäudeeigentümer betrieben werden. Von daher müssen Baugenossenschaften nicht unbedingt warten, bis in ihrer Nähe ein Rechenzentrum entsteht – vielleicht können sie es auch ins eigene Haus holen.
Weitere Information unter www.iwb.ch/serverheizung