Gemeinsam mit Forschern hat ein Schweizer Hersteller einen formstabilen und damit brandschutzwirksamen Einblasfaserdämmstoff aus Recyclingpapier entwickelt. Das Produkt könnte der Altpapierdämmung neue Impulse geben. Denn Zellulosefasern gelten als besonders nachhaltig.
Die Verwendung von Zellulose für die Gebäudeisolation kam in den westlichen Industrienationen verbreitet in den 1970er-Jahren auf, als namentlich in den USA wegen des Heizölpreisanstiegs der Bedarf an kostengünstigen Wärmedämmstoffen zunahm. In der Schweiz wird seit den Achtzigern damit gedämmt. Allerdings war der natürliche Dämmstoff lange Zeit ein Nischenprodukt.
Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Der Absatz hat stark zugelegt. Gemäss einer Marktanalyse der Beratungsfirma Interconnection Consulting wuchs der Schweizer Wärmedämmmarkt 2019 um 4,2 Prozent und generierte ein Umsatzvolumen von 330 Millionen Franken. Wertmässig am stärksten wachsen zurzeit Mineralwolle (42,3 Prozent Anteil) und Hartschäume aus Polyurethan (15,4 Prozent). Mit 7,8 Prozent fällt der Marktanteil von Zellulose und anderen Naturfaserstoffen (Holzfasern ausgenommen) zwar vergleichsweise bescheiden aus. Doch im Vergleich zu anderen Märkten wie Deutschland, wo der Anteil bei lediglich 1,8 Prozent liegt, sind alternative Dämmstoffe in der Schweiz ziemlich beliebt.
Wichtigster Wachstumstreiber ist das Holzbaugewerbe, das von Änderungen im Brandschutz profitiert. Weil Dämmstoffe aus Papierfasern vor allem in dieser Branche verwendet werden, kam es jeweils nach Inkrafttreten neuer Vorschriften zu einem Absatzwachstum: So wurde 2005 der Bau von mehrgeschossigen Holzgebäuden ermöglicht; und mit der Revision von 2015 liess der Gesetzgeber Holz für alle Gebäudekategorien zu.
Nachhaltigster Dämmstoff
Der Anwendungsbereich von Zelluloseflocken umfasst Dach-, Wand- und Deckenhohlräume. Hergestellt wird der Dämmstoff aus sortiertem Zeitungspapier, das in mechanischen Prozessen zu Flocken vorzerkleinert, mit Flammschutzmitteln versetzt, gemahlen, imprägniert und schliesslich aufgelockert und verdichtet wird. Der Altpapieranteil des fertigen Produkts reicht je nach Anbieter von 75 bis 90 Prozent.
Zellstofffasern haben eine geringe Wärmeleitfähigkeit und bieten einen sehr guten sommerlichen Wärmeschutz. Ausserdem ist der Zellstoff preiswert. Gemäss einer Aufstellung des Beratungsportals Energieheld Schweiz verfügt Zellulose nach der Holzfaser über einen der geringsten Quadratmeterpreise und ist ähnlich günstig wie expandiertes Polystyrol.
Doch am meisten punktet das Material in der Ökobilanz: Kein Dämmstoff weist einen grösseren Recycling- und einen geringeren Primärenergieanteil auf, was ihn zum nachhaltigsten aller Isolierstoffe im Gebäudebereich macht. Da der Auffaserungsprozess sehr einfach sei und Papier keinen grossen Widerstand entwickle, brauche es für die Herstellung wenig Energie, erklärt Michel Alder, Geschäftsführer des Herstellers Isofloc AG. Laut der KBOB-Datenbank für öffentliches Bauen ist das 1980 gegründete Unternehmen aus dem sankt-gallischen Bütschwil Anbieter des nachhaltigsten Dämmprodukts im Inland. Die Dämmung auf Papierbasis zählt mit einem Verkaufsanteil von 60 bis 70 Prozent zu seinen Hauptprodukten.
Problem der Setzung
Unternehmenschef Alder bestätigt die steigende Nachfrage nach Zellulose im Markt. Um sie weiterhin bedienen zu können, hat Isofloc im Rahmen eines zweijährigen Innosuisse-Industrieprojekts mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) zusammengespannt. Ziel war die Entwicklung eines formstabilen und feuerfesten Einblasdämmstoffs aus Altpapier für den vorfabrizierten Holzelementbau.
Dafür musste ein Bindemittel gefunden werden, das zwei Randbedingungen erfüllt: Es musste nachweislich ungiftig sowie günstig und in grossen Mengen verfügbar sein. Auch ein Bindeverfahren musste entwickelt werden, weil die Flocken beim Einblasen gut fliessen, im Hohlraum aber fest verkleben sollten.
Weshalb das Verkleben so wichtig ist, schildert Polymerchemiker Thomas Geiger vom Labor für Zellulose und Holzmaterialien der Empa: «Die Altpapierflocken werden in vorgefertigte Holzgefächer eingefüllt, welche anschliessend durch Aufschrauben einer Holzgegenplatte verschlossen werden, wodurch sich das Material leicht zusammendrückt und so eine gewisse Eigenstabilität erlangt. Durch den Aufstell-, Verlade- und Transportprozess werden allerdings Vibrationen auf diese Komplettwände ausgeübt. Und dann kann es passieren, dass sich die Flockenfüllung leicht zusammensetzt, sie also etwas absinkt und dadurch im Holzbauelement neue Hohlräume entstehen.»
Formstabilität durch Verklebung
Den Vorgang der Verdichtung des Füllmaterials nennt man Setzung. Diese zu unterbinden, stand im Mittelpunkt des Projekts. Hintergrund war die Erzielung besserer Brandklassen. «Die Gefächer werden vollgefüllt mit dem Dämmstoff. Wenn durch die Produktion allerdings eine Setzung eintritt, dann hat man im Brandfall eine Kaminwirkung, wodurch vermehrt Sauerstoff eintreten und den Brand anfachen kann», schildert Geiger. «Wenn man aber die Struktur mit Bindemittel so festigt, dass die Füllung bis zum finalen Aufbau des Elements stabil und ohne Bildung von Hohlräumen im Gefach bleibt, hat man im Brandfall keine Hohlräume und dadurch keine Kaminwirkung mehr und somit gewissermassen einen Brandschutz.»
Geigers Aufgabe und die seiner Laborkolleginnen und -kollegen war es, eine geeignete Substanz zu finden. In einer Versuchsreihe wurden an die 40 unterschiedliche Zusatzstoffe getestet. Eine Substanz aus der Lebensmittelindustrie zeigte in Klebeversuchen an der Empa und in Pilottests in der Bütschwiler Produktionshalle am Ende die gewünschte Eigenschaft, nämlich eine auch im Brandfall zuverlässige Verbindung des Zellulosegefüges.
Schliesslich blies man die Flocken in Testholzrahmen und setzte diese im Brandlabor eine Stunde lang einer bis zu 1000 Grad heissen Flamme aus, mit dem Ergebnis, dass die neue Isolierung dem Brandtest standhielt. Um welche Substanz es sich genau handelt, bleibt vorerst ein Betriebsgeheimnis.
Tüfteln am Einblasverfahren
Isofloc-Geschäftsführer Alder zeigt sich mit dem Resultat hochzufrieden: «Das Bindemittel sorgt dafür, dass der Faserkubus innerhalb des Gefachs bleibt und eine sichere Verklebung zur Folge hat. Somit bleibt der Dämmstoff als ganzer Kubus in der Konstruktion drin und übernimmt einen aktiven Brandschutz.»
Jetzt muss das Produkt anwendungs- und maschinentechnisch so weiterentwickelt werden, dass es massentauglich wird, wozu anlagentechnische Versuche notwendig sind. Maschinentechniker sind dabei, eine neue Generation von Einblasmaschinen zu bauen. Wichtig dabei ist die Dosierung des Bindemittels: «Während des Einbringens des Standardzelluloseprodukts muss gleichzeitig das Bindemittel beim Eingang des Einblasstutzens eingespritzt werden, damit eine Verbindung zwischen der Holzkonstruktion und der Zellulose hergestellt wird», erläutert Alder.
Derzeit arbeiten die Konstrukteure an der Feinabstimmung. Die Hauptherausforderung besteht darin, dass die Düsen immer die gleiche Menge des Klebemittels auf den losen Dämmstoff spritzen.
Auftrieb dank Holzwohnungsbau
Von der Neuentwicklung erhofft sich Michel Alder eine um zehn bis 15 Prozent wirtschaftlichere Anwendung, gerade im stark wachsenden mehrgeschossigen Wohnungsbau. Das neue Produkt werde ein Meilenstein sein und ein Zusatzwachstum im zweistelligen Bereich generieren, ist er sich sicher.
Schon heute kooperiert Isofloc mit grossen Holzbauunternehmungen. Bei der 2018 fertiggestellten Überbauung «Sue & Til» in Winterthur – der bis dato grössten Holzbausiedlung der Schweiz – hat Isofloc die Dach- und Wandelemente mit Zellulosedämmungen befüllt. Und auch beim «Lokstadt»-Bauprojekt in derselben Stadt wird die Firma ein Wohnhaus mit Altpapier dämmen.
Angeheizt wird der Trend zu nachhaltigem Bauen von der aktuellen Klimadebatte. Sie werde letztlich zu einem Umdenken führen, ist Thomas Geiger überzeugt. «Naturstoffe und nachhaltige Materialien, die aus gewissen Kreislaufzyklen herauskommen und CO2-neutral sind, werden immer mehr zum Thema.»
Und da sei man auf gutem Weg. Denn die Papierflocke sei eine echte Alternative zu erdölbasierten Dämmprodukten, sagt der Fachspezialist von der Empa, und fügt hinzu: «Betrachtet man den ganzen Prozess von der Baumwirtschaft über die Zellulosegewinnung und Papiernutzung bis zum Recycling, hat man einen Kreislauf, der wirklich nachhaltig ist. Und als Dämmmaterial verbleibt Altpapier ja sehr lange im entsprechenden Gebäude, unter Umständen über 50 Jahre, bis der Bau wieder abgerissen, umgebaut oder renoviert wird.»
Antonio Suarez / 14. September 2020